Samstag, 5. April 2014

C. Cécil, L. Brunschwig: Holmes: Im Schatten des Zweifels

Dieses Buch ist der zweite Band einer mehrteiligen Graphic Novel, die erst Ende des Jahres 2013 begann. Wie viele Bände noch kommen werden, ist derzeit nicht bekannt.
2. Im Schatten des Zweifels


Gegenstand der Geschichte ist und bleibt Sherlock Holmes’ Tod und die Reichenbachfälle. Der Vorgängerband endete damit, dass Dr. Watson den Vater Sherlocks kennengelernt hat, der unter mysteriösen Umständen in seinem Herrenhaus festsitzt und von einer Bekannten der Familie namens Gloria betreut wird. Sie scheint verhindern zu wollen, dass Holmes Senior mit Fremden spricht und behauptet stur, der alte Herr sein geistig nicht mehr ganz auf der Höhe. Dabei erlebte Watson zufällig selbst, dass diese Behauptung nicht stimmt.
So kommt es, dass ihm in einer Art Fiebertraum Sherlock selbst begegnet und über seine Beobachtungen ausfragt. Sherlock kann mit dem Namen Gloria nichts anfangen - obwohl sie angeblich eine Freundin der Familie Holmes gewesen sein soll. Bei dem Versuch, sich an weitere Details ihrer Person zu erinnern, fällt Watson ein Gehstock ein, den Gloria bei sich trägt und der mit den Insignien Dudley P. Parks versehen ist. Bevor er erwacht, steht damit sein nächster Schritt fest: Er muss diesen Parks finden und ihn über Gloria ausfragen.



Obwohl dieser Abriss nach dem verheißungsvollen Auftakt einer spannenden Episode klingt, schreitet die Handlung nach diesem Punkt nur unwesentlich fort. Mithilfe des ehemaligen Straßenjungen Wiggins, einem cleveren Burschen, der Sherlock Holmes ein neues Leben als zivilisierter Mensch verdankt, kann Dr, Dudley Parks ausfindig gemacht werden. Währenddessen bringt Dr. Watson bei seinen Reisen und Gesprächen weitere Details aus Sherlocks Vergangenheit ans Tageslicht. Er beginnt zu verzweifeln, wie viele Geheimnisse dieser brillante Detektiv in seinem Leben noch angehäuft hatte. Und er beginnt daran zu zweifeln, ob er mit seinen beschränkten kombinatorischen Fähigkeiten (so hätte es Sherlock formuliert) überhaupt dazu in der Lage sein würde, dem Rätsel der Reichenbachfälle auf die Spur zu kommen.
Was die Wahl des Titels der Graphic Novel anbelangt, wird von den beiden Autoren Klarheit geschaffen. Dies bleibt jedoch der einzige Punkt, in dem eine Frage beantwortet wird. Während der Geschichte werden selbige immer nur aufgeworfen und ihre Lösung auf eine ferne Zukunft verlegt. Es treten Personen auf, die im Schatten bleiben aber gerade so klar zu erkennen, dass man ihre Bedeutsamkeit erkennt. Lebensabschnitte aus Sherlocks Vergangenheit werden offengelegt und man fragt sich “Warum hat er das gemacht?”. Sein Kindermädchen wird niedergeschossen just in dem Moment, als Watson und seine Frau zu ihr gelangen. Diese neuen Fragen gesellen sich zu den Fragen, die aus dem ersten Teil noch offen stehen. Sobald der nächste Teil der Graphic Novel erscheint, werde ich beide Vorgänger noch einmal lesen müssen, um den Überblick zu behalten über all die Figuren und Fragen, die unbeantwortet brach liegen.


Das letzte Viertel der Seiten ist einer Art “Making Of” gewidmet, indem Skizzen von einzelnen Seiten gezeigt werden. In wenigen Kommentaren erläutern Brunschwig und Cécil, wie sie aufwendige Panels planen und welche Szenen im Nachhinein gestrichen wurden. Dieser kleine Einblick ist zweifellos interessant aber nicht übermäßig informationsgeladen, da die Kommentare dazu knapp gehalten sind. Schlechterdings wird durch dieses Making Of der Umfang für die eigentlich Geschichte auf 47 Seiten herunter gestutzt. Das lässt eine weitere Frage aufkommen, wieviele Bände die beiden Autoren denn noch zu veröffentlichen gedenken, um die Reichenbachfälle-Geschichte zu Ende zu erzählen. Ich lege diese Frage mal auf den Berg zu den übrigen.


Nichtsdestotrotz bleibt die große Stärke von der Holmes-Geschichte die tolle grafische Umsetzung. Cécil hat ungeheuer viel Geschick darin, wuselige Wide Shots zu zeichnen, in denen von verschiedenen Stellen Akteure ins Bild dringen und die zentrale Figur dennoch irgendwie aus dem Gewimmel heraussticht. Die Figur des Dr. Dudley Parks ist eine wunderbar ambivalente Mischung aus warmherziger Heilerseele und wissenschaftlichem Entdecker ohne Skrupel.
Die Geschwindigkeit, mit der die Handlungen erzählt werden, haben mir in diesem zweiten Teil besonders gut gefallen. In nachdenklichen Momenten, in denen Watson in seinen eigenen, inneren Zweifeln versinkt, hat man panelreiche Passagen mit vielen Bildern und wenig Text, Close-ups von nachdenklichen Gesichtern. Man spürt den Nebel beinah, der Watson betrübt. Im zweiten Erzählstrang hingegen poltern die Geschehnisse hintereinander weg, es werden riesige und beeindruckende Massenszenen von Rangeleien und Tumulten gezeigt. Und zu keinem Moment hat man den Eindruck, dass der feine Blick für die Details in Mitleidenschaft gezogen wird.



Von dieser Graphic Novel kann ich einfach nicht abraten. Es ist ein wunderbares Projekt, die Panels sind meisterhaft gezeichnet, das Charakterdesign weckt mein Interesse. In Kombination mit der nach wie vor spannenden Erzählweise bestätigen Brunschwig und Cécil den Eindruck vom ersten Teil.
Was im ersten Teil nicht gut gelungen ist (langsam fortschreitende Handlung, Aufsplitten der Handlung auf zu viele Buchteile), verschlimmerte sich.

Was im ersten Teil gut gemacht wurde (geniale Zeichnungen, großartige Atmosphäre, stimmige Handlungsführung), hat im zweiten Teil noch einen drauf gesetzt bekommen.

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