Samstag, 9. Juni 2012

Fred Vargas: Der verbotene Ort


17 Schuhe stehen vor dem Londoner Friedhof Highgate und begehren Einlass, ungewöhnlich nur, sie sind nicht leer, die Füße sind noch darin. In Paris geschieht ein paar Tage danach ebenfalls ein Mord:
„Wo ist die Leiche?“ Überall, Lieutenant, sagte Adamsberg, breitete die Arme aus und umschrieb mit einer Bewegung den ganzen Raum, Zerstückelt, zerrieben, verstreut. Wo man auch hinschaut, sieht man den Körper. Und wenn man alles zusammen betrachtet, sieht man ihn nicht mehr. Es gibt hier nur ihn, und gleichzeitig ist er nicht da.“
Fred Vargas, geboren 1957 in Paris, mit bürgerlichem Namen Frédérique Audoin-Rouzeau, Historikerin und Schriftstellerin, schreibt surreale, mit Preisen überhäufte Krimis, wie diesen, den achten um die Figur Kommissar Jean Baptiste Adamsberg.


Pierre Vaudel, ein einsamer alter Mann mit heilloser Angst vor der Fortpflanzung und einem Schläger als einzigem Freund, wurde nicht einfach ermordet, er wurde ausgelöscht. Adamsberg und seine Mannen finden die Verbindung nach London, erfahren von weiteren Morden mit demselben Modus Operandi und verfolgen Verwandte mit ähnlichem Familiennamen bis zu deren gemeinsamen Urahnen, dem 1725 gestorbenen Vampir Peter Plogojewitz, nach Serbien. Behindert werden sie dabei von einem Verräter in den eigenen Reihen, einer Intrigantin von „ganz oben“, den Ängsten Adamsbergs selbst böses Blut gezeugt zu haben und einem guten Samariter mit heilenden Händen. 

Das hört sich wie Blödsinn an? Stimmt, das ist es auch und das macht es erst richtig gut. In diversen Kritiken wird immer wieder die stringente Logik der Vargas Geschichten gelobt, und innerhalb der Geschichten stimmt das im Großen und Ganzen auch, aber die Zusammenballung der Story Elemente ist weit davon entfernt logisch zu sein. Die Abteilung ist mit ihren ganzen Schrullen, dem fetten Kater der auf dem Kopierer wohnt, der essgestörten Kollegin mit den versteckten Essenspaketen, dem gebrochenen alten Mann mit der drogensüchtigen Tochter, dem Mannweib, dem Gedächtnisgenie und Alkoholiker (wobei das nicht ganz deutlich wird) und natürlich dem Kommissar selbst der sich nichts merken kann und in seinen Gedanken ständig „Wolken schaufelt“, unglaublich sympathisch und weckt viel Empathie, aber so richtig glaubwürdig ist diese Truppe nicht. Noch mehr Übertreibung steckt in der irgendwie angeflanscht wirkenden Verschwörungsgeschichte um die „Mächtigen da Oben“ und auch einige wilde Zusammenhänge, wie der Identifizierung eines der Schuhe aus London, als die seines Onkels aus Serbien durch Kommandant Danglard, sind ziemlich weit hergeholt. 

Warum nun also ist der Roman trotzdem gut? Nun weil sich Fred Vargas eben keinen Kopf um Realität macht, sie erzählt den Roman wie eine Fantasy Geschichte, in die hineinkommt was gerade passt. Diese Unbekümmertheit gepaart mit einem subtilen aber wirkungsvollen Grusel, schafft eine starke und mitreisende Atmosphäre. Die Figuren leben von ihrer Schrulligkeit und die Geschichte von den düsteren Bildern in Falschfarben. Das Beste am ganzen Roman ist aber zweifellos Kommissar Adamsberg höchstselbst, seine Ängste vor dem bösen Blut korrelieren, sicher nicht zufällig, mit denen in der Geschichte, und sind zutiefst verstörend. Seine Art der Fallaufklärung ist dabei, wie die aller seiner Kollegen, schrullig, in seiner Menschlichkeit und der Nähe zu allen Beteiligten aber auch sehr charmant. Kurz er geht einem nah. Und nicht zuletzt, gelingt Fred Vargas eine erstaunlich intensive Darstellung von Blutfeheden und deren Verbindungen zum Vampirismus Mythos, hier kommt die Historikerin in ihrer besten Form durch.

Insgesamt ist dieser Roman so ein durch und durch guter Krimi, gruselig, spannend und skurril. Ich habe ihn zu einem großen Teil an einem Nachmittag gelesen, und es wird sicher nicht der letzte dieser Reihe gewesen sein. Spitze.

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