Montag, 12. März 2012

Angelika Klüssendorf: Das Mädchen



Das Mädchen, eine namenlose 12jährige, die nach Meinung ihrer Mutter wohl am besten nicht existieren sollte, lebt in einer sozialen Schicht die es in der DDR nicht geben durfte. Dabei hat Sie gelernt für sich selbst und nur für sich selbst zu kämpfen. 

Eine Sozialstudie der anderen Art über den Umgang der DDR mit ihrer bildungs- und sozialfernen Unterschicht und der Weitervererbung dieser Sozialisierung.







 
Angelika Klüssendorf lebt seit 1985, dem Jahr ihrer Ausreise aus der DDR, in der BRD. Nach einigen Bänden mit Kurzgeschichten ist „Das Mädchen“ ihr zweiter Roman, der sich wie alle ihre Prosawerke mit Kindheiten und Sozialisation in der DDR beschäftigt.
Der kurze 182 Seiten Roman ist im Präsens aber in der dritten Person geschrieben so beschreibt das Mädchen ihr Leben aus einer distanzierten kühlen Perspektive, kaum eine Gefühlsregung ist darin zu erkennen. Für diese Distanziertheit hat sie auch einigen Grund, den ihr Leben wird bestimmt durch eine sadistische alleinstehende Mutter und einem getrennt lebenden Vater der Alkoholabhängig ist. Zumindest ist der Vater aber immer wieder bemüht ein normales Familienleben aufzubauen aber ebenso regelmäßig scheitert er leider daran.

Zu Beginn der Geschichte lebt das Mädchen zusammen mit dem sechsjährigen Bruder Alex bei der Mutter, die regelmäßig für mehrere Tage fortgeht und die Kinder allein lässt. Ist sie in der Wohnung verbringt sie die Tage neben ihrer Arbeit in der MITROPA, damit zu schlafen, die Kinder arbeiten zu lassen und ihre Aggressionen an ihnen auszuleben. Das Mädchen läuft regelmäßig von zu Hause weg, beginnt zu klauen und beschwert sich bei der Polizei und in der Schule, außer einem halbherzigen Besuch einer Frau von der Jugendhilfe passiert aber erst einmal nichts. Neben dem Vater mit dem die Mutter noch einmal versucht die Beziehung wiederherzustellen gehen diverse andere Männer ein und aus, bis wieder Einer längere Zeit bleibt und die Mutter umgehend erneut schwanger wird. Auch wenn dieses Kind ein Wunschkind ist, kann die Mutter es nur wenige Tage betreuen, dann flieht sie wieder regelmäßig und überlässt Elvis immer mehr dem Mädchen. Das Mädchen baut so eine fast mütterliche Beziehung zu dem Kind auf, kann diese aber nicht auf Dauer stabilisieren, dem Stress ohne Hilfe ein Kind zu erziehen ist sie nicht gewachsen. 

Danach beginnt für das Mädchen eine Odyssee, sie beginnt mit einem längeren Aufenthalt an der Ostsee bei ihrem Vater und dessen sehr bemühten neuen Freundin. Aber hier zeigen sich die Folgen der Verwahrlosung auch in den charakterlichen Zügen des Mädchens immer deutlicher, es hat gelernt nur sich selbst zu vertrauen dabei nur kurzfristig zu denken und zu handeln und es hat nur grobe moralische Leitlinien mitbekommen. Da der Vater außerdem wieder zu trinken anfängt, findet sich niemand der auf die Besonderheiten des Mädchens vernünftig und verständnisvoll eingehen kann. Am Ende landet sie im Kinderheim. Auch hier interessiert sich niemand für die Besonderheiten des Mädchens so beginnt der immer gleiche Teufelskreis, zuerst macht Sie positive Erfahrungen da alles besser ist als das Leben bei der Mutter aber dann führen erste Enttäuschungen zu Fluchtreaktionen, diese wiederum führen zu Bestrafungen auf die sie mit maximaler Ablehnung, Selbstisolation und schlussendlich mit Gewalt reagiert. Immer mehr zeigen sich auch die sadistischen und jähzornigen Seiten des Mädchens, die große Zweifel daran aufkommen lassen ob sie in der Lage sein wird ein anderes Leben zu führen als ihre Mutter.

„Das Mädchen“ ist ein seltsamer Roman gleichzeitig bedrückend und lustig, der Kniff die Geschichte aus Sicht des Mädchen zu erzählen, funktioniert so gut das man als Leser zusammen mit dem Mädchen, gleichsam in Sicherheit hinter dessen emotionalen Schutzschirm, die ganze Grausamkeit unbeschadet überstehen kann. Das Ergebnis haut einen gewissermaßen die Füße weg und man muss aufpassen den Roman nicht in einem Zug zu lesen, denn während man liest ahnt man noch nicht wie heftig das Elend in den „Nachdenkenden Minuten“ danach auf einen einprasseln wird. Hier nicht mitzufühlen ist kaum möglich umso schlimmer, da Seite für Seite klar wird, dass die Geschichte des Mädchens genauso gut die Jugendgeschichte der Mutter sein könnte ein ewiger Kreislauf des sozialen Elends. 

Der Roman thematisiert einen Komplex der in anderen Romanen über die DDR bereits häufiger angedeutet, aber meist nicht so intensiv ausgearbeitet wurde. Die Beschreibung ist geprägt von einem erschreckend lakonisch erzähltem Realismus, der schnell klar macht das hier nicht mehr viel zu retten ist, hier wäre der Staat gefordert gewesen. Leider ist die soziale Ader die vom Staat propagiert wurde nichts als Staffage. Der Staat mag das Elend lieber ignorieren, maximal will er noch strafen, wegschließen und ausgrenzen, für Hilfe wäre Empathie nötig und die sucht man hier vergebens. Wer nicht angepasst ist, hat auch keine Fürsorge zu erwarten. Natürlich finden sich solche sozialen Probleme in allen Ländern der Welt, übereinstimmend mit vielen Autoren aus der ehemaligen der DDR, stellt aber auch Angelika Klüssendorf fest, dass hier nicht einmal der Versuch unternommen wurde, etwas zu ändern. Strukturen, die es angeblich nur im Westen gab, konnten nicht bekämpft werden, weil dies ein Eingeständnis ihrer Existenz gewesen wäre, so blieb nur ignorieren. 

Ein tragisch gutes Buch das einem ganz schön an die Nieren geht und sich daher nicht als seichte Nachmittagslektüre eignet.

 
Ich habe weder Zitate noch eine Textbewertung eingebaut weil man das hier:


im Rahmen DIESES sehr zu empfehlenden YouTube Channels viel besser selbst erledigen kann. 
Viel Spaß dabei.

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